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Dr. Elias Gebru bei einem Vortrag in einem Seminarraum

Elias erzählt

Wunden heilen: Bewusstseinsbildung und psychosoziale Hilfe

Vor wenigen Monaten startete die psychosoziale Unterstützung durch Menschen für Menschen. Welche Personen wurden zu Beginn des Prozesses eingebunden?

Dr. Elias Gebru: Gemeinsam mit Vertreter:innen von Menschen für Menschen leitete ich Anfang September einen Workshop, der sich insbesondere an Mitarbeiter:innen im Gesundheitsbereich, Sozialarbeiter:innen sowie Lehrer:innen aus der betroffenen Region richtete. Dabei legten wir einen Grundstein, indem wir allgemein über die Bedeutung psychischer Gesundheit informierten, sowie deren Beeinträchtigung, zum Beispiel durch traumatische Erlebnisse, Depressionen und Angstzustände.
Teilnehmer:innen des Workshops zum Start der psychosozialen Hilfe von Menschen für Menschen
Die Teilnehmer:innen des Workshops zum Start der psychosozialen Hilfe von Menschen für Menschen.
An wen richtet sich die psychosoziale Hilfe?

Vor allem an Frauen, die im Krieg viel durchgemacht haben. Viele wurden Opfer von sexueller Gewalt. Unser Ziel ist es, diese Wunden zu heilen und uns mit den schweren psychischen Folgewirkungen zu befassen. Die Frauen sollten durch diese Hilfe ermächtigt werden, dieses Leid verarbeiten zu können.

Warum ist es wichtig, Gesundheitsmitarbeiter:innen oder Sozialarbeiter:innen aus der Region von Beginn an einzubinden?

Bevor wir mit der Planung begannen, schauten wir uns an, wie betroffenen Frauen in der Region bisher geholfen wurde. Ich erfuhr, dass jene Frauen, die offiziell angaben, vergewaltigt worden zu sein, lediglich zu einem Krankenhaus gebracht wurden, um Tests auf Schwangerschaft und sexuell übertragbare Krankheiten durchzuführen. Sie erhielten dann eine einmalige Unterstützung von 10.000 äthiopischen Birr (ca. 170 Euro) und wurden nach Hause geschickt. Das ist zwar eine Unterstützung, aber keine psychosoziale Hilfe. Deshalb entwickelten wir einen Plan, um wichtigen Schlüsselpersonen der Gemeinden Bewusstsein über psychische Gesundheit und Erkrankungen zu vermitteln. Wir wählten speziell Frauen, die bereits als Beraterinnen und Sozialarbeiterinnen aktiv waren. Sie erhielten auch eine einwöchige Intensiv-Schulung und wie sich zeigte, waren einige von ihnen selbst aufgrund des Krieges von psychischen Problemen betroffen, die sie bislang jedoch nicht identifizieren konnten.

Woran liegt es, dass es kaum Bewusstsein dazu gibt?

Das Problem ist, dass man sich nicht mit der Bedeutung der Psyche für das allgemeine Wohlbefinden beschäftigt. Psychische Krankheiten werden einfach nicht gesehen. Hinzu kommt, dass Frauen, die offen anklagen, vergewaltigt worden zu sein, stigmatisiert werden. Die Öffentlichkeit beschuldigt sie, selbst daran schuld zu sein. Psychische Folgen wie posttraumatische Belastungsstörungen werden zudem als Schwäche gesehen.

Wie erreichen Sie unter diesen Voraussetzungen jene Menschen, die Hilfe benötigen?

Die Lösung besteht darin, Personen, die eine gewisse Vorbildfunktion in den Gemeinden innehaben, zuallererst in den Prozess einzubeziehen. Wenn wir diese Personen an unserer Seite wissen, können wir uns der Gemeinschaft widmen und den Menschen zu psychischer Gesundheit verhelfen. Die von uns ausgebildeten Gesundheitsmitarbeiter:innen zum Beispiel wissen heute, welche Art von Fragen sie stellen müssen oder können, um in Folge ihren Mitmenschen die richtige Art der Therapie vermitteln zu können.
Dr. Elias Gebru beim ersten Workshop für psychosoziale Unterstützung
Dr. Elias Gebru beim ersten Workshop in Were Illu zum Start der psychosozialen Unterstützung.
Welche Ansätze der Behandlung verfolgen Sie im Rahmen der psychosozialen Unterstützung?

Das hängt natürlich vom individuellen Fall ab – es kann sein, dass die psychischen Folgen der Gewalt so verheerend sind, dass jemand kurzzeitig stationär behandelt werden muss. Manche benötigen eine medikamentöse Behandlung, zusätzlich zur Therapie. Für andere wiederum ist eine Psychotherapie ausreichend. Hierfür planen wir ein kleines Zentrum einzurichten, wo Expert:innen Behandlungsräume zur Verfügung stehen werden. Neben der vertraulichen Psychotherapie wird es weitere Möglichkeiten geben, wie Meditation, Kunst- oder Beschäftigungstherapie, die wir in Gruppen durchführen können.

Wie langfristig ist das aktuelle Projekt geplant?

Psychosoziale Unterstützungsmaßnahmen sind schon ihrer Natur nach langfristige Maßnahmen. Meiner Erfahrung nach sollten wir aber innerhalb eines halben Jahres die ersten Fortschritte bei den Teilnehmer:innen erfahren können. Dann haben wir die Möglichkeit, erste Analysen anzustellen, um herauszufinden, wie sich die Maßnahmen auswirken. Wichtig ist, langfristig Nachbeobachtungen durchzuführen: Wie entwickelt sich die psychische Gesundheit der Frauen und auch ihre wirtschaftliche Lage?

Die Arbeit mit den Betroffenen hinterlässt auch bei den Betreuer:innen Spuren. Wie stellen Sie sicher, dass auch Sie und Ihre Kolleg:innen diese Erfahrungen verarbeiten?

Es gibt die sogenannten „Wounded Healers“ – also beispielsweise Fachkräfte oder Ersthelfer:innen, die selbst eine Last mit sich tragen. Die Geschichten, die nun die Gesundheitsmitarbeiter:innen von den Betroffenen hören, hinterlassen auch bei ihnen Spuren. Wir werden regelmäßig mit ihnen in Kontakt sein, um sicherzugehen, dass dies keine langfristigen Folgen hat. Dazu gehören regelmäßige Meetings und auch Gruppendiskussionen. Ich persönliche glaube an die Kraft der Meditation, die mir hilft, mit diesen Erfahrungen umzugehen.

Der Krieg hat unzählige Menschen schwer traumatisiert. Wie wird sich das auf die Zukunft Äthiopiens auswirken?


Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Ich glaube, es hängt viel davon ab, wie mit der Situation im Allgemeinen umgegangen wird. Zum Beispiel, ob es ein professionelles, wissenschaftlich fundiertes Programm zur psychischen Aufarbeitung gibt. Durch das soziale Gefüge in Äthiopien ist im Grunde die gesamte Gesellschaft vom Trauma des Krieges betroffen. Deshalb ist es mir auch ein so wichtiges Anliegen, Bewusstsein zu schaffen und den achtsamen Umgang mit der geistigen Gesundheit in der Gesellschaft zu verankern. Nur so können wir auf eine positive Einstellung umschwenken und dann ist uns auch eine gute Zukunft sicher.

Das Interview führte Martina Hollauf vom
Menschen für Menschen-Team in Wien.

Portrait von Dr. Elias Gebru

Zur Person

Dr. Elias Gebru ist Allgemeinmediziner an der Universität von Jimma und Facharzt für Psychiatrie. Zudem gründete er das „Aremimo Center“ in Addis Abeba, wo unter anderem Therapien und Trainings zur Förderung der psychischen Gesundheit angeboten werden. Seit vergangenem Jahr begleitet Dr. Elias Gebru das Pilotprojekt von Menschen für Menschen zur psychosozialen Unterstützung für vom Krieg traumatisierte Menschen und Opfer sexueller Gewalt.

Erfahren Sie mehr über Dr. Elias Gebrus Training Center unter: www.aremimo.com
Martina Hollauf von Menschen für Menschen

Martina Hollauf

Ihre Ansprechpartnerin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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