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Äthiopische Mitarbeiterin Bahritu sitzt vor Computer und lächelt

Bahritu erzählt

Mobilisieren und verstehen

Der Abschied aus einer Projektregion ist wie eine Scheidung, wenn man doch lieber verheiratet bleiben möchte. Zitat von Bahritu Seyoum
Bahrita Seyoum von Menschen für Menschen beim Baum pflanzen
Dieses Jahr hat Menschen für Menschen die Arbeit in drei neuen Projektregionen aufgenommen* – können Sie uns erzählen, worin die größten Herausforderungen liegen, und was geplant ist?

Bahritu Seyoum: Ein großes Problem ist die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen – sprich, die fortschreitende Entwaldung und der Verlust fruchtbarer Böden. Das wirkt sich unmittelbar auf das Leben der Menschen aus, die von ihren Feldern leben müssen. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen, was wiederum die Folge des starken Bevölkerungswachstums ist. Wir planen, in diesen Regionen mit unserem umfassenden Ansatz in den fünf Bereichen – Landwirtschaft, Wasser, Gesundheit, Bildung und Einkommen – die Lebenssituation der Menschen zu verbessern.

Wie begegnet Menschen für Menschen dem wachsenden Problem der Jugendarbeitslosigkeit und in diesem Zusammenhang dem Bevölkerungswachstum?

Menschen für Menschen setzt schon lange auf die Förderung von Familienplanung durch Aufklärung, Information und die Bereitstellung von Verhütungsmitteln. Das werden wir auch weiterhin tun. Um die Jugendlichen zu unterstützen, ist es notwendig, alternative Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Zu diesem Zweck unterstützen wir sie beispielsweise bei der Gründung kleiner Geschäfte, der Bildung von Kooperativen oder mit speziellen Trainings.

*Die Arbeit in den zwei neuen Projektregionen Boreda und Kawo Koysha wird von der deutschen Stiftung, die Arbeit in der neuen Projektregion Albuko vom österreichischen Verein Menschen für Menschen finanziert.
Äthiopische Mitarbeiterin Bahritu sitzt vor Computer und lächelt
Bahritu Seyoum ist seit 2006 für Menschen für Menschen in Äthiopien tätig. Seit 2021 als Teil des Management-Teams.
Wie können wir uns die ersten Jahre in einer Projektregion vorstellen? Was ist zu Beginn das Wichtigste?

Besonders im ersten Jahr liegt das Hauptaugenmerk auf der Mobilisierung und dem Verstehen. Das heißt, dass wir die Bevölkerung sowie unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mobilisieren müssen. Für uns gilt es, die Projektregion und die Menschen, die dort leben, kennen und verstehen zu lernen. Da wir zehn, zwölf Jahre in einem Gebiet bleiben, müssen wir ein System aufbauen, das unsere Arbeit auf Dauer trägt. In weiterer Folge liegt der Fokus auf der Bewusstseinsbildung und der Durchführung von Trainings und Kursen für die Bevölkerung.

Äthiopien ist ein großes Land – wie wählt Menschen für Menschen da überhaupt die Projektregionen aus?

Das ist tatsächlich jedes Mal eine große Herausforderung. Uns erreichen zahlreiche Anträge aus allen Ecken Äthiopiens, die gesichtet und geprüft werden müssen. Wir stellen ein Team zusammen, das eine erste Bewertung vor Ort durchführt. Dabei werden fünf essenzielle Parameter bewertet: wie bedürftig ist die Region, welches Potenzial gibt es zur weiteren Entwicklung, wie viele Menschen profitieren von unserer Arbeit, wie hoch ist ihre Bereitschaft, sich an der Arbeit zu beteiligen und wie ist die Sicherheitslage vor Ort. Wir sammeln und analysieren also eine Vielzahl an Daten und Eindrücken und entscheiden auf diese Weise, wo unserer Arbeit nicht nur dringend benötigt wird, sondern auch möglichst großen Nutzen für die Menschen hat.
Bahritu Seyoum beim Pflanzen von Setzlingen anlässlich der „Green Legacy“-Initiative im Juli 2021.
Die Projektregionen werden nach einer gewissen Zeit abgeschlossen. Gibt es einen bestimmten Punkt, an dem man sagen kann „wir sind fertig“?

So einfach ist das nicht. Denn es wird nicht möglich sein, alle Probleme in einer Region zu 100 % zu lösen. Wenn wir mit unserer Arbeit beginnen, tun wir das mit dem Vorhaben, die Lebenssituation der Menschen zu verbessern. Zum Beispiel, indem wir moderne landwirtschaftliche Techniken einführen oder neues Saatgut. Dann geht es darum, ob die Veränderungen von der Gemeinschaft angenommen werden. Sind die Leute begeistert? Geben sie das Neue selbst weiter? Dabei geht es nicht allein um Prozentsätze, die wir erreichen möchten, sondern ob die Veränderung von der Bevölkerung weitergetragen wird. Dann können wir unsere Arbeit als erledigt betrachten. Wobei der Abschied aus einer Projektregion auch für uns nie einfach ist. Das ist wie eine Scheidung, wenn man doch lieber verheiratet bleiben möchte.

Zusätzlich zur Arbeit in den Projektregionen baut Menschen für Menschen derzeit Tiefbohrbrunnen in Regionen Äthiopiens, die stark von der Dürre betroffen sind. Welches Ziel wird hier verfolgt?

Die langanhaltende Dürre war verheerend und hat zum Tod vieler Nutztiere geführt. Die Familien können nicht ständig auf der Suche nach Wasser umherziehen. Deshalb war es uns wichtig, langfristige Maßnahmen zu ergreifen und mithilfe des neuen Bohrgeräts Tiefbrunnen zu bauen, die ausreichend Wasser für die Menschen und ihre Tiere liefern können. Um diese Projekte langfristig zu gewährleisten, gibt es Vereinbarungen mit den örtlichen Behörden und die Gemeinschaft engagiert sich ebenfalls, um ihre Wasserversorgung abzusichern.
Drei Jahre lang herrschte in der Tigray-Region im Norden des Landes Krieg, mit all seinen fürchterlichen Folgen für die Bevölkerung. Wie hilft Menschen für Menschen beim Wiederaufbau?

Es werden unterschiedliche Projekte umgesetzt: der Bau und die Renovierung von Schulen, psychosoziale Hilfe für vom Krieg traumatisierte Menschen sowie Saatguthilfe, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Lebensgrundlage wiederaufzubauen. Viele von ihnen wurden vertrieben und haben alles verloren. Damit sie wieder auf die Beine kommen und ihre Arbeit wieder aufnehmen können, unterstützen wir sie mit Saatgut und Düngemittel.

Äthiopien ist derzeit auch von einer Inflationsrate von über 30 % (Stand 4/2023) betroffen. Wie wirkt sich das auf die Arbeit von Menschen für Menschen aus?

Die Wirtschaftslage hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Projekte. Die derzeitige Inflationsrate führt zu einem massiven Preisanstieg bei den für unsere Projekte benötigten Rohstoffen und anderen Gütern. Beim Schulbau haben wir neben den hohen Kosten auch das Problem, dass etwa eine Baufirma, die vor einem Jahr den Zuschlag für ein Projekt erhielt, dieses nun eventuell nicht mehr zum angebotenen Preis durchführen kann und den Auftrag dann lieber bleiben lässt. Für diese Herausforderung gibt es keine schnelle Lösung. Wir müssen entweder mehr Mittel aufbringen oder unsere Aktivitäten einschränken und uns darauf konzentrieren, die bereits eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen.


Das Interview führte Martina Hollauf vom
Menschen für Menschen-Team in Wien.

Zur Person

Bahritu Seyoum ist als Direktorin für Projektimplementierung Teil des Management-Teams im Projektkoordinierungsbüro von Menschen für Menschen in Addis Abeba. In ihrer Funktion ist sie für die Projektumsetzung in den Regionen verantwortlich. Bahritu Seyoum schloss ihren Master of Business Administration in Nairobi ab, ehe sie 2006 als Koordinatorin für Frauenprojekte bei Menschen für Menschen einstieg.
Martina Hollauf von Menschen für Menschen

Martina Hollauf

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