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Ein Rückblick

40 Jahre für die Menschen

40 Jahre für die Menschen

„Schlechte Nachrichten verbreiten sich schnell“, lautet ein bekanntes Sprichwort, das in den letzten Wochen und Monaten besonders auf Nachrichten aus Äthiopien zutrifft. Anhaltende Dürreperioden, Heuschreckenplagen und der Konflikt im Norden halten uns in Atem. Seit 40 Jahren arbeitet Menschen für Menschen Hand in Hand mit der Bevölkerung Äthiopiens. Die aktuellen Entwicklungen im Land bereiten uns dementsprechend große Sorgen.

Das 40-jährige Bestehen der Organisation lässt uns auf die vielen kleinen und großen Erfolge zurückblicken, die gemeinsam mit den Menschen in Äthiopien erzielt werden konnten. Und das trotz vieler Hindernisse und Hürden, die es zu bewältigen gab. Denn Menschen für Menschen hat immer wieder unruhige Zeiten im Land miterlebt. Von der Periode des „roten Terrors“ unter dem Regime des Derg über den Sturz ebendieses vor dreißig Jahren bis hin zur Abspaltung der ehemaligen äthiopischen Provinz Eritrea beziehungsweise dem Grenzkrieg Ende des Jahrtausends.

Prinzip „Menschen für Menschen“

In diesen vier bewegten Jahrzehnten ist Menschen für Menschen immer einem Prinzip treu geblieben, nämlich dem, dass die Ideologie der Arbeit ausschließlich in den Worten „Menschen für Menschen“ liegt. Die Organisation hat sich den Menschen verpflichtet und versteht sich seit jeher als politisch, ethnisch und religiös neutrale Organisation. Ein Prinzip, das bis in die Anfangstage von Menschen für Menschen zurückreicht.

Unverständnis und Skepsis

Die Geschichte von Menschen für Menschen ist untrennbar mit einem Ort verbunden: Dem Erer-Tal, wo Karlheinz Böhm den Sinn und Zweck gefunden hat, „warum ich überhaupt auf der Welt bin: Das ist, für andere Menschen da zu sein und etwas zu bewegen.“ Im Erer-Tal wollte Karlheinz Böhm die in einem Hungerlager untergebrachten Halbnomad:innen ansiedeln. Ein Vorhaben, das bei vielen Unverständnis hervorrief – aber ihm einen der wichtigsten Wegbegleiter bescherte: Berhanu Negussie, damals noch Übersetzer für Karlheinz Böhm, kündigte seinen bestehenden Job und schloss sich aus Überzeugung an: „Für Karls Anliegen und seinem für die damalige Zeit sehr progressiven Ansatz“, so der ehemalige Landesrepräsentant von Menschen für Menschen.
Abdi Ali, einer der ersten Siedler:innen des Erer-Tals, und seine Familie betreiben bis heute eine erfolgreiche Landwirtschaft.
Berhanus Gespür erwies sich als richtig und der progressive Ansatz als erfolgreich: Das Hungerlager von Babile konnte geschlossen werden und die ehemals Notleidenden wurden zu erfolgreichen Bäuerinnen und Bauern. So wie Abdi Ali: ein Name, ein Mensch, dessen Geschichte ebenfalls untrennbar mit Menschen für Menschen verbunden ist. Abdi Ali war einer der ersten Siedler des Erer-Tals im ersten „Menschen für Menschen-Dorf“ namens „Nagaya“: Frieden. Aus dem einstigen Halbnomaden und Flüchtling wurde ein erfolgreicher Bauer, wovon sich ein kleines Team von Menschen für Menschen Österreich vor rund zehn Jahren selbst überzeugte. Tomaten, Süßkartoffeln, Mangos, Papayas und viel mehr erntet die Familie weiterhin höchst erfolgreich und verkauft die Früchte unter anderem auf dem Markt von Harar.

Advokat des Teufels?

Ab Mitte der Achtziger leistete Menschen für Menschen Hilfe für die von Umsiedelungen Betroffenen in Illubabor.
Sozusagen eine andere Art der Ansiedelung musste Menschen für Menschen in den Achtzigern im Westen Äthiopiens durchführen. Rund 85.000 Menschen, die von Zwangsumsiedelungen der Regierung betroffen waren, mussten in Illubabor eine neue Heimat und ein Auskommen finden. Doch wie? Sie waren ohne Werkzeug oder entsprechendes Wissen aus den Dürregebieten des Nordens ausgesiedelt worden und standen vor dem Nichts. Menschen für Menschen versorgte die Frauen, Männer und Kinder zunächst mit Kleidern, Decken, Haushaltswaren und medizinischer Grundversorgung. Die Unterstützung der Gestrandeten stieß nicht nur auf Wohlwollen. Kritiker:innen warfen Karlheinz Böhm vor, die Maßnahmen der Regierung durch die Hilfeleistung gutzuheißen, sogar anzufeuern. Doch damals wie heute standen die Menschen und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt und so folgten nach der ersten Soforthilfe Maßnahmen, wodurch die Familien erfolgreich ihre Felder bestellen konnten. Die Gesundheitsversorgung wurde ausgebaut sowie der Zugang zu sauberem Wasser. Illubabor entwickelte sich zum ersten Projektgebiet, wo Menschen für Menschen die charakteristische integrierte ländliche Entwicklungsarbeit umsetzte. Und schon damals lag ein Hauptaugenmerk darauf, insbesondere das Leben von Frauen durch die Maßnahmen zu verbessern.
Merhabete begann als "ökologisches Rehabilitationsprojekt", das bis heute Bestand hat.

Ein vorläufiges Ende

Schon früh erkannte Karlheinz Böhm die Notwendigkeit, die natürlichen Ressourcen in den Regionen zu schützen und aufzubauen. Ende der Achtziger wurde deshalb in Merhabete mit der Umsetzung eines „ökologischen Rehabilitationsprojekts“ begonnen. „In Merhabete, einem der erodiertesten Gebiete Äthiopiens, hat MfM 1989 ein großes Projekt für über 300.000 notleidende Bauern zur ländlichen Entwicklung und Wiederherstellung zerstörter Umwelt begonnen“, hieß es dazu in einer Broschüre anlässlich des 10-jährigen Bestehens von Menschen für Menschen. Mit dem traurigen Zusatz: „Der eskalierende Bürgerkrieg hat unserer Arbeit ein vorläufiges Ende bereitet.“

Die Zeit nach dem Fall des Derg-Regimes und das dadurch entstandene Machtvakuum im Land mit gewaltsamen Auseinandersetzungen bezeichnet Berhanu Negussie als den „schwierigsten Moment“ für Menschen für Menschen. „Auch unsere Infrastruktur und sogar Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wurden angegriffen“, berichtet Berhanu über die damalige Zeit und spricht damit eine besonders dunkle Stunde an:

Am 16. Mai 1994 – ausgerechnet am Jahrestag der berühmten Wette – explodiert in einem Dorf in der Nähe des Erer-Tals eine Landmine. Zehn Menschen kamen dabei ums Leben, darunter drei Kinder. „Die Idee aufzuhören hatte ich ein einziges Mal, für zwei Stunden“, sollte Karlheinz Böhm später über den Anschlag sagen, der ihn in seinen Grundfesten erschütterte. „Aber sofort ist mir der Gedanke gekommen, wen bestrafe ich eigentlich damit? Den, der die Mine gelegt hat oder die, die in Zukunft nichts mehr bekommen?“

Immer für die Menschen

Ein Gedanke, der sich konsequent durch die Geschichte von Menschen für Menschen zieht. „Dass wir die Arbeit in Merhabete wieder aufnehmen würden, stand nie in Frage“, berichtet auch Berhanu Negussie. „Denn am Ende des Tages geht es uns immer nur um die Menschen.“ Knapp 140.000 Menschen leben in der Region Merhabete, die aller Hürden zum Trotz im Jahr 2009 als allererstes Projektgebiet von Menschen für Menschen abgeschlossen werden konnte. Etwa fünf Jahre nach Abschluss wurde in Merhabete auch die erste sogenannte „Ex-Post-Evaluierung“ durchgeführt: Eine Studie, die untersucht, ob die gesetzten Maßnahmen auch Bestand haben und ohne das Zutun der Organisation nachhaltig wirken. Jochen Currle, der die Evaluierung für die Beratungsfirma FAKT durchführte, kam in seinem Bericht zum Schluss: „Die Lebensbedingungen der Menschen in Merhabete haben sich nachhaltig verbessert. In allen Arbeitsbereichen konnten positive Wirkungen nachgewiesen werden. Der integrierte Ansatz von Menschen für Menschen hat sich damit bewährt und sollte beibehalten werden.“

Die Bäuerin, die ein Krankenhaus baut

Wie sehr sich die Lebensbedingungen der Menschen in Merhabete verbessert haben, zeigt zum Beispiel die Geschichte von Wubayehu. Mit 12 Jahren wurde sie verheiratet, das erste von sechs Kindern folgte kurz darauf und eigentlich war ihr Schicksal schon geschrieben. Doch das Blatt wendete sich mit einem Mikrokredit, mit dem Wubayehu ein solides Fundament für die Zukunft ihrer Kinder schuf. So kam es, dass heute einer ihrer Söhne nach dem Studium eine Apotheke und eine kleine Klinik unweit ihres Heimatdorfs betreibt. „Hinter meinem Erfolg steht die Unterstützung meiner Mutter und hinter ihr steht Menschen für Menschen“, so Wubayehus Sohn Abiy.
Wubayehu erhielt einen Mikrokredit und ihr Sohn dadurch eine Ausbildung. Heute führt er eine Apotheke und eine kleine Klinik.

Traditionen und Aberglaube

Geschichten wie die von Wubayehu finden sich in den Projektregionen zuhauf und sind, frei nach Landesrepräsentant Yilma Taye, auch der Gradmesser des Erfolgs der Arbeit. Es sind aber nicht nur gesellschaftliche oder politische Umbrüche, die zeitweise eine Herausforderung darstellen, sondern verständlicherweise zutiefst Menschliches. Wie Skepsis gegenüber Neuem, dem Festhalten an alten Traditionen oder auch tief verwurzelter Aberglaube, wie im Fall der Bäuerinnen und Bauern des Balla-Tals. Ende der Neunziger Jahre hatte Karlheinz Böhm die beherzte Idee, gemeinsam mit mutigen Pionier:innen im Tiefland der Projektregion Derra eine Siedlung aufzubauen, wo mithilfe von Bewässerungskanälen der Anbau von Obst und Gemüse ermöglicht wird. „Früher hieß es, dass man taub oder verrückt wird, wenn man auch nur eine Nacht hier verbringt“, erinnert sich Muhammed, einer der ersten Siedler:innen des Balla-Tals.
Ende der Neunziger werden die ersten Furchen im Balla-Tal gezogen.
Der böse Geist, der im Balla-Tal sein Unwesen trieb, war tatsächlich mehr als nur Aberglaube. Denn die Gegend wurde vor allem wegen der Malaria-Gefahr gemieden. „Dieser Teufel wurde mit dem Malarianetz gefesselt“, umschreibt Sharifu, ein weiterer Siedler des Balla-Tals, die wirksame Maßnahme gegen den bösen Geist recht bildlich. Heute leben rund 50 Familien an dem Ort, der sich zu einem kleinen Paradies entwickelt hat. 2016, fünf Jahre nachdem die Projektarbeit in Derra abgeschlossen wurde, war das Gebiet auch Gegenstand einer Nachhaltigkeitsstudie. Auch sie bescheinigte den Anstoß „positiver und anhaltender Entwicklungen“ durch die Maßnahmen von Menschen für Menschen.
Muhammed gehört zu den Pionier:innen des Balla-Tals und erntet auch 2018 noch reiche Früchte.

Immer im Fluss

Was die Geschichten von Abdi Ali, Wubayehu oder Sharifu vereint ist nicht nur ihre Verbindung zu Menschen für Menschen, sondern vor allem der Grundgedanke, der seit 40 Jahren Bestand hat: Hilfe funktioniert nie von oben herab, sondern immer nur gemeinsam mit den Menschen. Sie orientiert sich an den Bedürfnissen der Frauen, Männer und Kinder und ist genau deshalb immer im Fluss. Denn sich verändernde Zeiten und Umstände verlangen nach veränderten Ansätzen. Das bedeutet auch, dass wir Hindernisse bewältigen und vielleicht auch mal einen Schritt zurück machen müssen, aber dabei immer im Gleichschritt mit den Menschen selbst bleiben.

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Cover des Nagaya Magazins 1/2024 zeigt zwei äthiopische Frauen. Eine im Vordergrund, die Zwiebeln schneidet und eine im Hintergrund mit einem Baby im Arm, die vor einer traditionellen Feuerstelle steht

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Zeritu und ihre Tochter stehen vor ihrer Hütte im Hochland von Albuko.
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